Götterdämmerung in Ischgl

In Salzburg läuft gerade der Jedermann, hier in Ischgl gab man heute Götterdämmerung, ein Drama in 3 Akten und 7 Stunden 24 Minuten. Aber alles der Reihe nach.


Start
Ich war früh dran, habe mein Rad daher weit vorne abgestellt und konnte somit auch weit vorne starten. Egal für's Ergebnis, aber gut für die Psyche. Ich bin also etwa als 200ster weggefahren von etwa 1000 Startern. Start war zuerst neutralisiert, dann freigegeben und los gings. Buchstäblich. Rundherum haben alle angegast, daß ich mir dachte die fahren ein 10km-Rennen, und nicht nur weil ich mir die Kräfte einteilen wollte, bin ich da nicht mitgedüst, ich hätte es auch gar nicht geschafft. Am Ende des Tales drehe ich mich mal um: noch ca 50 - 100 Radler hinter mir. Nein ich habe nicht getrödelt, ja ich bin gefahren wie immer. War ein leichter Dämpfer. Aber man tröstet sich ja leicht wieder: Die werde ich alle am Berg wieder überholen, die verausgaben sich, teilen sich das schlecht ein, lauter Deppen!

Erster Teil, die Talrunde
500 hm durch den Wald, kein Problem, man fährt in seiner Gruppe, noch kleine Positionskämpfe, aber alles easy. Dann noch ein 200m-Schupfer und weiter alles bergab zurück nach Ischgl. Läuft gut, fühle mich bestens, jetzt kommt der Berg.

Berg 1
Bereits in Ischgl, also im Ort, ist es so steil, daß man in den kleinsten Gang schaltet, schalten muß! Dieser Gang bleibt jetzt 2 Stunden drinnen. Jetzt kommt meine Stunde, hier werde ich, der Berg-Kaiser, alle zurücküberholen. Vor mir auch jede Menge Opfer, hundertjährige Greise, Mädels aus Holland, Junghupfer die so strampeln, daß das nie gut gehen kann. Aus der Aufholjagd wird aber nix. Man ist nämlich da wo man ist, weil man fährt wie man fährt. Will heißen: Nach 2 Stunden Rennen ist man genau dort wo man hingehört, alle rundum sind exakt gleich schnell. Exakt gleich schnell! Man ist also 2 m von einem feindlichen Hinterrad entfernt und denkt sich: Den überhole ich jetzt! Man konzentriert sich auf einen Überholvorgang, aber es ist wie im Traum wo man nicht weglaufen kann. Der ganz Pult ist festgefroren wie in Gel. Man schafft es nicht auch nur einen Meter näher zu kommen. Das geht 2 Stunden so, unglaublich! Ich fahre also 2 Stunden mit den selben Menschen um mich quälende 2000 hm zu dieser Abzweigung. Das Gate das entscheidet über Held oder Loser, die Abzweigung in die lange Strecke, die man schaffen muß bis 12.00 Uhr. Niemals hätte ich gedacht, daß sich das für mich nicht ausgehen könnte.


Durchschnittsgeschwindigkeit
Im Tal war es flach, 15 km/h Schnitt, erste Berge drücken das Tempo, Schnitt geht zurück, die Abfahrt nach Ischgl treibt den Schnitt aber wieder auf 15 km/h. Geht sich locker aus, denkt sich der Wienerwald-Gott, jetzt kommt zwar der hohe Anstieg bis zur Abzweigung, aber sooo viel kann der Schnitt ja nicht mehr sinken. Sinkt aber, weil ich und viele andere oft schieben, obwohl alles asphaltiert ist. Da wir nur 3-4 km/h fahren, rasselt der Schnitt bedrohlich in den Keller, unter 11 km/h schaffe ich das Gate nicht mehr, Scheiße, das wird knapp. Zum Schluß noch panikartig zugelegt (hier war es etwas flacher), und um 11.51 Uhr dann bei dieser Abzweigung angekommen, die bei km 36 liegt.

Trügerisches Hochgefühl
Gut, die Abzweigung habe ich geschafft, zwar knapper als ich dache, ich habe mit 3 Stunden Fahrzeit gerechnet, jetzt waren es fast 3,5, aber egal, jetzt ist die halbe Strecke hinter mir, und vor allem 2/3 der Höhenmeter. Hurra! Trinken, Gel drücken, weiterfahren. Das Hochgefühl ist schnell weg, denn jetzt wo das Adrenalin sinkt wird auch schnell klar: Junge, Du bist ganz ordentlich erledigt. Dazu kommt: Ich fahre um 11.55 Uhr weiter, um 12.00 wird die Strecke gesperrt: Ich bin also fast letzter!!! Tatsächlich fährt auch fast niemand mehr in die lange Strecke ein, wie ich von weiter oben feststellen kann: Greise, Jungfrauen und Kinder nehmen alle die mittlere Strecke. Baut einen wenig auf das Wissen, kaum mehr überholt werden zu können.

Jetzt geht's bergab
In jeder Hinsicht, vor allem aber körperlich. Die Strecke geht nämlich leider nochmals ordentlich hinauf, zu diesem Paßübergang, von dort einen Grad rauf und runter und rauf und runter, teils Schiebestrecken weil so steil. Dann endlich wirklich bergab, super, ich habe es fast geschafft. Der Mega-Anstieg mit 2,5 Stunden immer volle Kraft in die Pedale fordert jetzt ersten Tribut, ich bekomme Krämpfe. Ich bekomme nie Krämpfe, jetzt aber so heftig, daß ich den Sattel nicht mehr runter stellen kann. Der niedrige Sattel beugt die Beine leicht: Krampf! Ich bekomme leichte Panik, denn ich bin völlig alleine hier auf 2.800m Seehöhe. Mieses Wetter, ich sehe etwa 1 Stunde keinen anderen Radfahrer, bin dankbar für jedes Schild, das mir sagt ich bin noch richtig. Abfahrt wäre supergeil, wenn die Reifen nicht viel zu hart wären, wenn man nicht schon 4 Stunden unterwegs wäre, wenn man keine Krämpfe hätte und es nicht so windig und kalt wäre. So ist die Abfahrt eigentlich nur beschissen, dafür aber - eh klar! - endlos lang. Unten in Samnaun erbettle ich mir bei einem Haus Salz, denn ohne Salz müsste ich jetzt hier aufgeben. Eine nette ältere Frau (vermutlich fährt sie wie alle Menschen hier täglich bei Sonnenaufgang mit dem Waffenrad hinauf zur Mittelstation und wieder zurück) weiß gleich bescheid, läuft (!) ins Haus, bringt Salz und Wasser, Salzberg in meine Hand und aufgeleckt, richtig viel Salz. Ich war wohl wirklich am Ende, denn bei soviel Salz speibt man sich normalerweise sofort an. Salz hilft, es geht weiter! Trainer Josef hatte wieder mal recht.

Berg 2
Jetzt beginnt das Drama, ich weiß es aber noch nicht, ich ahne es nur. Ich bin so fertig, daß ich nicht mehr die Kraft habe in die Pedale einzuklicken, daß mir die Motivation fehlt schnell mal vorne auf das große Kettenblatt umzulegen wenn es kurz begab geht. Der Berg kommt aber erst. Ich tröste mich mit: eh nur 800 hm, das kann nicht so schlimm sein. Ist es aber. Wie eine Oktoberfliege quäle ich mich diesen Anstieg hinauf, von fahren kann man hier nicht mehr sprechen. Treten links, treten rechts, nur nicht umfallen. Viel schieben, weil weniger kraftraubend, jetzt schieben fast alle, die man von weitem sieht: Kleine Punkte weiter oben am Weg, einer Schotterstraße die sich endlos den Berg raufwindet. Wie soll ich da jemals drüber kommen? Nieselregen, Jacke drüber, windig. Ich glaube so fertig war ich noch nie. Kleine Senke, wo man normalerweise raufschaltet, mit Schwung durch damit man drüben wenige treten muß. Jetzt: Ohne treten (geht eh bergab) reinrollen in die Mulde, von dort apatisch im leichtesten Gang (den man drinnen gelassen hat) wieder weiter hinauf. Dann endlich: Oben, geschafft. Denkste, hier erst sieht man, daß es noch 200hm weitergeht, das selbe Spiel dann nochmals.

Den letzten beißen die Hunde
Letzte Labe, ganz oben am Grat. Du bist völlig am Ende, Du bist zu fertig Dich darüber zu freuen, daß es jetzt nur noch bergab geht, Du siehst die Labe, es sind 50 m bis dorthin und es dauert ewig bis Du ankommst. Du hast daher ewig Zeit mitanzusehen, wie die vom Tisch die Getränke ins Auto laden! Ich glaube ich spinne! Kann ich bitte eine Zitronen-Limo haben? Dei homma grod einigramt, mogsch koa Cola? Nein, eine Zitronen-Limo bitte...

Abfahrt, die letzte
Jetzt geht es wirklich nur noch talwärts. Jedenfalls sind nur noch 2x 100hm zu bewältigen, die merkst Du normalerweise gar nicht, die überrollt man mit dem Restschwung. Hier dauern diese 100hm eine gefühllte Ewigkeit, 100hm werden auch als böswillige Zumutung empfunden, man ist doch schon etwas gereizt. Zumutung kommt aber noch eine: Kurz vor dem Ziel so eine blöde Foto-Bachdurchfahrt, breit und große Steine drinnen. Ich bin unschlüssig was tun, stoppe und im Stehenbleiben schalte ich vorne runter. Kette springt aber nicht mehr auf das kleine Blatt und beim Wegfahren im Bach reisse ich mir die Kette ab. Blöd aber egal, ich rolle runter nach Ischgl, Zielbogen ist zu meiner großen Überraschung noch nicht abgebaut. Wie spät ich ankomme sagt nicht nur die Uhr, sondern auch die Tatsache, daß die einzige Rad-Waschanlage für 1000 Teilnehmer frei ist: Hier hat seit Stunden keiner mehr sein Rad gewaschen - und hier wird heute auch keines mehr gewaschen.

Soweit aus Ischgl, meine Freundin sagt ich sehe aus wie der Tod, Bordcomputer sagt ich habe 4700 Kalorien verbraucht, ich sage das mach ich NIE WIEDER!!!!!

KonRAD F. AHRER
Ischgl, am 2. August 2014